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Schweizer Fachzeitschrift
für Publishing und Digitaldruck


Ralf TurtschiWer stylish auftreten möchte, greift gerne zu klassizistischen Fonts. Auf den Covers von Vogue, Vanity Fair, Brigitte, Grazia, Für Sie, Schöner Wohnen oder Donna sind sie zu sehen. Das wirkt sich auch auf die Typografie ganz allgemein aus – wenn es um Mode, Party, Lifestyle, Food oder Fitness geht. Klassizistische Fonts scheinen geradezu Lifestyle, Urbanität und Wohlbefinden zu verkörpern. Inzwischen gibt es eine ganze Reihe von Schriftschöpfungen neueren Ursprungs, die den bisherigen Klassikern Bodoni & Co. den Rang ablaufen.

Doch vorab eine Bemerkung: Klassizistische Antiquas eignen sich grundsätzlich weniger für Lesetexte in Grössen bis 9 Punkt, weil die Serifen so fein sind, dass sie nicht mehr gesehen werden. Bei manchen Fonts sind sie gar nicht darstellbar, weder im Druck noch auf dem Screen. Man sollte sie eher für Titel ab etwa 16 Punkt einsetzen, wo sie ihre optische Qualität ausspielen: den grossen Kontrast von vertikal/horizontal. Ausnahmen bilden beispielsweise die Utopia oder die Greta, die auch als Lesetext funktionieren. Typische Merkmale sind die Haarstriche, die häufig rechtwinklig angesetzt sind, oder die vertikale Schattenachse, welche eine Vertikalbetonung hervorruft.

Wer «klassizistische Schriften» googelt, wird nicht einfach so mit Vorschlägen überhäuft, weil die Fonts nicht nach Stilepochen unterschieden sind.

Wer sich für diese Schriften interessiert, dem seien folgende zur weiteren Prüfung nahegelegt. Sie sind bei verschiedenen Vertriebspartnern erhältlich: Abril, Arte Antiqua, Bodoni, Bauer Bodoni, Caledonia, Century, Dedica, Didot, Ellington, Essonnes, Fenice, Greta, Harriet, Ingeborg, Kepler, Lexia, Parmigiano, Praho Pro, Prillwitz, Rabenau, Ratio-Latein, Questa, Scotch Modern, Superior, Trianon, Utopia, Walbaum, Zesta. ↑

Klassizistische Schriften in der Praxis

Die Mode pflegt seit je ein besonders inniges Verhältnis zu klassizistischen Fonts. Sie sind viel variabler geworden.

Klassizistische Schriften entstanden Ende des 19. Jahrhunderts, zusammen mit den feineren Reproduktionsmöglichkeiten der Lithografie. Feinste Schriften waren wegen der Übertragung im Bleisatz und im Buchdruck damals nicht möglich. Der Effekt ist mit Stempeln zu vergleichen – auch da funktionieren Feinheiten nicht. Im heutigen Offset- oder Digitaldruck sind ganz feine Striche möglich, die gerade noch übertragbare Liniendicke liegt bei etwa 0,2 Punkt. Weisse Schrift mit feinen Serifen sollte auf farbigem Grund nicht gestaltet werden, geringste Passerprobleme machen den Haarstrichen den Garaus.

Bei der Schriftdigitalisierung lassen sich die feinen Haarstriche einfach skalieren. Bei einer Verkleinerung der Grundgrösse 12 Punkt auf eine Grösse von 6 Punkt führte das dazu, dass die feinen Serifen nicht mehr reproduzierbar waren, von der Leserlichkeit auf einem Bildschirm ganz zu schweigen. Nach und nach entstanden jedoch auch Schriften, die sich als Lesetext sehr gut eigneten, weil die Serifen etwas dicker gestaltet wurden. Beispiele solcher Typen sind die Centennial von Adrian Frutiger oder die Utopia von Roger Slimbach.

Klassizistische Fonts werden heute grundsätzlich besser an die verschiedenen Lesebedürfnisse angepasst. Bei der Greta werden die Serifen­dicke und die Laufweite flexibel angepasst (oben). Solche Schriftfamilien eignen sich hervorragend für die Ausstattung eines Magazins oder einer Zeitung. Die Questa ist ein Beispiel einer Schriftfamilie aus «Text», «Sans», «Slab» und «Display». Klassizismus als Grundlage mit einer stilistischen Ergänzung.

Andere klassizistische Schriften kommen, auch wenn sie neueren Datums sind, nicht über den Einsatz in grossen Titeln hinaus. Als Coverschrift vieler Modemagazine und als Headlineschrift dürfen sie dem Klassizismus frönen. Auch in der kursiven Form sind sie mit ihrem kontrastreichen Bild beliebt.

Ein No-Go ist und bleibt für Bodoni & Co.: Versalbuchstaben in Leads und Grundtext. Klassizistische Fonts sind also eher schmückend als lesefreundlich.